Futuring The Past


Lennart Grau, Paul Günther Köstner, Anna Nezhnaya, Carolyn Prescott, Laura Suryani Thedja


01.03.2025  -  04.05.2025
 
Mythen haben seit jeher das Weltbild der Menschheit geprägt. In allen Kulturen haben sie Identität, Moral und Symbolik definiert und bieten allegorische Orientierung und vorwissenschaftliche Erklärungen für unbekannte Phänomene. Diese aus mündlichen Überlieferungen und heiligen Texten hervorgegangenen Erzählungen wurden im Laufe der Generationen durch Hymnen, Skulpturen oder Gemälde immer wieder neu interpretiert. Mythen sind nicht nur Relikte der Vergangenheit, sondern dynamische Erzählungen, die sich zusammen mit der Menschheit ständig weiterentwickelt haben. Im Zuge des gesellschaftlichen Wandels wurden Mythen umgeformt, um die sich wandelnden Wirklichkeiten widerzuspiegeln, und ihre Symbolik wurde angepasst, um mit den neuen Wahrheiten übereinzustimmen. In einer Zeit beispielloser Veränderungen, Turbulenzen und rasanten Fortschritts muss man sich jedoch fragen: Können sich Mythen noch weiterentwickeln und ihre Relevanz und anhaltende Anziehungskraft in unserem heutigen Leben bewahren?

In Futuring The Past präsentieren Lennart Grau, Paul Günther Köstner, Anna Nezhnaya, Carolyn Prescott und Laura Suryani Thedja Arbeiten im Versuch, diese Frage zu beantworten. Indem sie Vorurteile in Frage stellen, untersuchen sie ererbte Erzählungen und entschlüsseln deren Vielschichtigkeiten, um verborgene Parallelen und verdrängte Historien ans Licht zu bringen. Ihre künstlerischen Untersuchungen beleuchten die anhaltende Anziehungskraft dieser alten Geschichten und offenbaren die universellen Sehnsüchte, Konflikte und Emotionen, die die menschliche Erfahrung weiterhin bestimmen. Auf diese Weise schlagen sie eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart und verwandeln altehrwürdige Mythen in dynamische, sich ständig weiterentwickelnde Zwiegespräche, die das zeitgenössische Empfinden ansprechen und gleichzeitig die zeitlose Essenz des Geschichtenerzählens ehren.

Lennart Grau (geb. 1981 in Krefeld) ist ein in Berlin lebender Maler, dessen Schwerpunkt auf der Widersprüchlichkeit spielerisch verführerischer, vorwiegend von der Ästhetik des Rokoko beeinflusster Bildwelten mit entwaffnender Farbigkeit und impressionistischen Licht- und Raumverständnis liegt. Fasziniert von der Dekadenz, die sich in den kitschigen Darstellungen von Engeln, Stillleben und ekstatischen Szenarien zeigt, nutzt Grau sie als Ausgangspunkt für seine Subversion des schnöden Glanzes.

Er nutzt die ornamentale Bildsprache des Rokokos sowie schillernde Kontraste und Effekte wie Tromp l'oeil, um sie zu abstrahierten Farbflecken zu formen, die zu einer verführerischen und zugleich trügerischen Seherfahrung führen. Dieses Gefühl des Unheimlichen ist in seinem Gemälde "Grid Imperium" aus dem Jahr 2023 sichtbar. Auf den ersten Blick erinnern die verschlungenen Linien und die kontrastreichen Schattierungen an ein Fresko mit tanzenden und frohlockenden Putten am Himmel. Bei näherer Betrachtung offenbaren die Gebilde jedoch ihre triste Anonymität, die die Kluft zwischen dem Abbild und der Wirklichkeit verdeutlicht.

Paul Günther Köstner (geb. 1991, Bayreuth) ist ein in Berlin lebender Künstler, der vor allem für seine abstrakten Malereien bekannt ist, die von der zunehmend digitalisierten und urbanisierten visuellen Umwelt inspiriert sind. In seinem aktuellen Werkreihe beschäftigt sich Köstner mit religiöser Kunst des Mittelalters und der frühen Renaissance, insbesondere mit Werken aus der Berliner Gemäldegalerie und anderen renommierten Museen der Stadt.

Bei dieser Auseinandersetzung mit historischen Kunstwerken geht es ihm nicht darum, bestimmte Motive oder Kunstwerke zu reproduzieren, sondern zu erforschen, ob die tiefgreifenden, universellen Erfahrungen dieser Werke in einem zeitgenössischen Kontext rekonstruiert werden können, frei von jeglichen Elementen der Ikonografie und Ikonologie. Dabei beobachtet Köstner, dass die ursprünglichen religiösen Konnotationen und spirituellen Funktionen dieser Bilder allmählich zurücktreten und einer rein ästhetischen Erfahrung Platz machen. Dieser Ansatz wirft kritische Fragen über die Fähigkeit der abstrakten Kunst auf, eine ähnliche Tiefe von Emotionen und Kontemplation hervorzurufen, selbst wenn sie von ihrem traditionellen narrativen Rahmen losgelöst ist.

Anna Nezhnaya, (geb. 1987, Moskau) lebt in Berlin und erforscht die Präsenz heiliger Räume im heutigen Leben und die Entwicklung der westlichen spirituellen Traditionen in den letzten Jahrzehnten. In ihren Arbeiten, die sich mit Zeichnung, Malerei und Neonskulptur befassen, verarbeitet sie alte Mythen in neuem Kontext.

Diese Serie umfasst vor allem Neonskulpturen, die mythologische Bilder als auffällige, illuminierte Zeichen präsentieren. Die Wirkung ist zweifach: Das Neonmedium transportiert die Bilder in einen modernen visuellen Kontext und ihr strahlender Glanz verleiht diesen alten Geschichten neues Leben. Gleichzeitig unterstreicht Nezhnaya mit ihrer sorgsamen Auswahl und Interpretation der mythischen Figuren deren ungebrochene Relevanz und unterstreicht ihre einzigartige künstlerische Vision.

"Falling Angel" und "Lilith Pierced" stellen beide Lilith dar, die sagenumwobene erste Frau Adams, die aus dem Paradies verbannt wurde, weil sie sich seiner Autorität widersetzte. Die Künstlerin stellt Lilith nicht als gefallene Ausgestoßene dar, sondern als eine Figur des feministischen Widerstands gegen die patriarchalische Vorherrschaft. In "Lilith Pierced" dienen die Piercings einer doppelten Symbolik: Sie evozieren ein Martyrium, das an den heiligen Sebastian erinnert, und stehen gleichzeitig für eine Rückgewinnung des weiblichen Körpers in einem Akt sexueller Autonomie. Der gliederlose Torso, eine Anspielung auf die Venus von Milo, erhebt Lilith zu einer intersektionalen Ikone, die christliche, hellenistische und hebräische mythologische Traditionen verwebt.

Carolyn Prescott ist eine amerikanische Künstlerin und Autorin, die in Berlin lebt und arbeitet. Ihr Zugang zum Medium der Malerei ist eher sinnlich als darstellend. In Anlehnung an Maximen wie "Pinsel als Berührung" oder "Licht als Sehen" sieht sie ein fantasievolles Spielfeld zwischen Wahrnehmung und Vorstellung, zwischen Bild und Sprache. In einem umfangreichen Werkportfolio, das von der politischen Serie "Overthrow" bis zu den phänomenologischen Betrachtungen über das Zusammenleben in "Plurality" reicht, ist die hier vorgestellte Werkreihe ihre Interpretation der Märchenreihe der Brüder Grimm.


Ihre Meditationen über diese Märchen verlagern den Schwerpunkt von den traditionellen Happy Ends auf die Härten und Grausamkeiten, die die Protagonisten auf ihrem Weg ertragen müssen. Anstatt die triumphale Flucht der Heldin aus den Fängen des Zauberers zu bebildern, zeigt Fitcher's Vogel (2024) den schrecklichen Moment, in dem sie entdeckt, dass ihre Schwestern in seinem Versteck niedergemetzelt wurden. Diese schonungslose Darstellung verwandelt die Geschichte in eine ernüchternde Reflexion über den Verlust und unterstreicht den universellen Konflikt, der vor jeder Hoffnung auf ein erlösendes Ende durchgestanden werden muss.


Laura Suryani Thedja, (geb. 1993, Berlin), ist eine deutsch-indonesische Künstlerin, die in Berlin lebt und arbeitet. Ursprünglich begann sie mit klassischer Ölmalerei, hat jedoch zunehmend traditionelle indonesische Batiktechniken in ihre Praxis integriert. Durch die Verbindung von Malerei und Batik schafft sie eine einzigartige visuelle Sprache, die beide Techniken durch ihre bi-kulturelle Perspektive neu interpretiert. In ihren Arbeiten setzt sie sich mit Themen der europäischen und indonesischen Mythologie, Kolonialismus und Identität auseinander. Thedjas Textilien, die oft skulpturale Elemente und kraftvolle Bildwelten enthalten, erforschen kulturelle Berührungspunkte, visuelle Marker des kulturellen Erbes und nachklingende koloniale Vermächtnisse.

Ihre Arbeit Babi Ngepet aus dem Jahr 2023 ist beispielhaft für diesen Ansatz. Das auf einer Bambusstange montierte Kunstwerk zeigt eine Figur im Badeanzug mit einem Wildschweinkopf und verweist auf den gleichnamigen Dämon, welcher im Austausch gegen Reichtümer diejenigen besitzt, die ihn beschworen hat, während es Motive des Strandurlaubs aufgreift. Der subversive Charakter des Werks wird in der darunter liegenden Batikschicht deutlich, die traditionelle Parang-Motive mit Illustrationen aus dem deutschen Märchen Hänsel und Gretel und dem Logo der Niederländischen Ostindien-Kompanie vermischt. Durch die Gegenüberstellung dieser Elemente zieht Babi Ngepet Parallelen zwischen der Konsumkritik beider Kulturen, unterstreicht jedoch gleichzeitig Missverhältnisse, da die Folgen der westlichen Gier in den ehemals kolonisierten Regionen bis heute nachhallen.